Ich fühle mich schon wie der Chef
Wie unser äußeres Erscheinungsbild unsere innere Haltung beeinflusst „Kleider machen Leute“, das wissen wir spätestens seit Gottfried Keller 1874 seine gleichnamige Novelle veröffentlicht hat. Das Phänomen der Wirkung unseres äußeren Erscheinungsbildes auf unser Gegenüber durfte jeder schon einmal erleben. Der erste Eindruck ist nicht selten ein Türöffner oder Türschließer. Wenn wir erst mal in der verkehrten Schublade gelandet sind, haben wir es schwer hier wieder herauszukommen. Wir Menschen sind visuelle Wesen und ob wir es wollen oder nicht: wir alle beurteilen unser Gegenüber schnell und zuerst einmal nach der äußeren Erscheinung. Dies ist sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontext der Fall.
Dass Kleidung darüber hinaus noch einen starken Einfluss auf unser eigenes Wohlbefinden, unsere Leistung, Kreativität, mentale Gesundheit und unser Selbstbewusstsein hat, wird vielfach vergessen. Bedingt durch die Corona Pandemie haben viele von uns viele Tage im Homeoffice, im Online Unterricht oder mit digitalen Meetings verbracht. Der beliebte Jogginghosen-Look hat sich auf die Dauer nicht als produktives Arbeitsoutfit herausgestellt. Die Tatsache, dass unsere äußere Hülle einen enormen Einfluss auf unser Inneres hat, wurde bereits mehrfach erforscht und 2012 durch die Psychologen Hajo Adam und Adam Galinsky mit dem Begriff „Enclothed Cognition“ geprägt. Die Forschungen ergaben, wie sich Kleidung etwa auf unsere Vorstellungskraft auswirkt – wie wir denken, fühlen, handeln. Experimente zeigten, dass das Tragen eines Laborkittels die Aufmerksamkeit des Trägers offenbar positiv beeinflusst. Die Konzentration beim Lösen von Aufgaben nahm bei jenen Testpersonen zu, wenn sie den Kittel a) getragen und b) mit einem Arzt in Verbindung gebracht haben. Wurde er dagegen als Malerkittel angesehen oder nicht getragen, machten sie mehr Fehler. Der Einfluss von Kleidung hängt also von ihrem Tragen und ihrer symbolischen Bedeutung ab.
Einen wunderschönen Beweis für diese Theorie erreichte mich vor einigen Wochen. Im Vorfeld der Erscheinung meines Buches wurde ich von Steve Sitzmann als Interviewgast zu seinem Podcast „Die Macht der Worte“ eingeladen. Der Podcast, der da weitergeht, wo der Gottesdienst aufhört. Neben Fragen zum Buch sprachen wir unter anderem über meinen beruflichen Alltag als Stil- und Imageberaterin. Kurze Zeit später erhielt ich folgende Nachricht:“…seit unserem Gespräch ziehe ich mich besser an…so mit Hemden unter einem schönen Pullover und auch eine schönere Jacke, die Haare frisiert, Öl im Bart und auch ein bisschen Parfüm und ich fühle mich wesentlich besser…ich dachte mir, ich probier`s mal aus und es ist tatsächlich so: ich fühl mich schon wie der Chef hier von der Arbeit.“
Der Apostel Johannes schreibt an seinen Freund Gajus: „Geliebter, ich wünsche, dass es dir in allem wohlgehe und du gesund seiest, gleichwie es deiner Seele wohlgeht.“(3.Joh.1,2ELB) Wir können durch unsere äußere Hülle nicht unseren Körper gesund erhalten, jedoch unserer Seele verhelfen, dass sie sich in unserem Körper wohlfühlt.
Artikel zuerst erschienen in IDEAspektrum 12/22